Die ersten Wochen mit einer Assistenzhündin
Noa hat seit Jahren eine sogenannte unsichtbare Behinderung. Damit sind normalerweise Beinträchtigungen gemeint, welche nicht ohne weiteres erkennbar sind. Nach jahrelangem Leiden und vielen Klinikaufenthalten, bekam Noa Anfang Juni 2021 einen Assistenzhund über die ASA asbl um sie im Alltag zu unterstützen. Dieses Interview wurde zwischen Noa und ihrem Vater geführt und ist ein Erfahrungsbericht
Noa, wie alt bist du? Ich bin 21 Jahre alt und wohne bei meinen Eltern.
Was bedeuten Tiere für dich?Ich liebe Tiere und sie sind eine große Unterstützung in meinem Alltag. Ich bin ein sehr schüchterner Mensch, aber wenn man mich besser kennt und ich Vertrauen geschlossen habe, dann bin ich sehr offen. Ich mag es, mich um Peach zu kümmern und Verantwortung zu übernehmen.
Inwiefern beinflusst dich deine Beeinträchtigung im Alltag?Am meisten beeinträchtigt mich, dass ich oft keine Energie oder wenig Antrieb habe und sich dies in vielen Bereichen bemerkbar macht. Auch habe ich oft Probleme mit meinen Emotionen klar zu kommen und diese zu regulieren. Dies äussert sich u.a. in Angstzuständen. Auch fällt mir das Schlafen oft sehr schwer, was sich dann wieder tagsüber durch übermässige Müdigkeit bemerkbar macht
Wie bist du auf die Idee gekommen, dass ein Assistenzhund dich unterstützen könnte?Meine Mutter kam auf die Idee, dass mich ein Assistenzhund unterstützen könnte, da ich Tiere mag und ihnen vertraue. Allerdings wussten wir zu dem Zeitpunkt nicht ob es überhaupt möglich sei, da wir gedacht haben, dass „nur“ Menschen im Rollstuhl oder z.B. sehbehinderte oder blinde Menschen einen solchen bekommen könnten. Wir haben viel zu dem Thema recherchiert und waren begeistert wo überall Assistenzhunde eingesetzt werden.
Wie kam der Kontakt mit der ASA asbl zustande?Ich habe die ASA asbl angerufen und ganz lange mit Nelly über mich gesprochen. Sie kam dann regelmässig mit ihren Assistenzhunden zu mir zu Hause und hat zusammen mit mir und ihren Hunden über einen langen Zeitraum gearbeit
Warum hast du schlussendlich einen Assistenzhund bekommen?Warum hast du schlussendlich einen Assistenzhund bekommen? Ich denke, dass die Verantwortlichen der ASA asbl in der Arbeit mit mir gemerkt haben, dass ein Assistenzhund mir gut tun würde und mich im Alltag unterstützen könnte und ich auch bereit wäre die nötige Verantwortung zu übernehmen.
Assistenzhunde werden ja oft assoziert mit Menschen welche z.B. im Rollstuhl sitzen oder blind sind. Wie unterstützt dein Assistenzhund dich konkret im Alltag und in welchen Situationen?Peach hilft mir mehr Verantwortung zu übernehmen und mein Alltag ist jetzt strukturierter. Ich stehe z.B. jeden Morgen um 8 Uhr auf, gehe mit Peach raus und gebe ihr anschließend zu fressen. Bei akuten Angstzuständen oder anderen schwierigen Situationen (welche zu jeder Zeit am Tag kommen können), hilft Peach mir, diese besser zu bewältigen. Auch empfinde ich Liebe, Zuneigung und Freundschaft zu meinem Hund. Gegenüber Menschen ist mir dies nur bedingt möglich.
Deine Assistenzhündin ist viel im Alltag für dich da. Bist du auch für sie da? Wie würdest du deine Beziehung zu ihr beschreiben?Ich würde die Beziehung zu Peach als sehr eng beschreiben. Ich bin jederzeit für Peach da und zeige ihr dies indem ich den ganzen Tag bei ihr bin und sie nie alleine lasse. Ich schenke ihr sehr viel Zuneigung und mache ja eigentlich alles mit ihr zusammen. Sie begleitet mich immer und überall hin und schläft sogar bei mir im Schlafzimmer. Sie lässt mich nie alleine.
Wie lange hat es gedauert diesen „Bund“ zu festigen?Interessanterweise hat dies gar nicht so lange gedauert. Ich glaube sobald Peach das Gefühl hatte, dass sie bei mir nicht nur auf Besuch ist, hat sie sich komplett auf mich eingelassen. Ich hatte eigentlich schon nach knapp 10 Tagen das Gefühl, dass wir einen „Bund“ entwickelt haben. Im positiven Sinne „verfolgte“ sie mich schnell auf Schritt und Tritt. Dies gab mir ganz schnell ein Gefühl von Sicherheit.
Seht ihr euch als ein Team? Woran erkennt man dies?Selbstverständlich. Unsere Beziehung ist nicht einseitig. Wenn Peach seine Bedürfnisse äussert (z.B. wenn sie spielen möchte), dann kommt sie mich holen und zeigt mir dies und dann spielen wir z.B. eine Runde Tauziehen. Auf der anderen Seite, wenn ich Peach zeige, dass es mir nicht so gut geht und sie zu mir rufe, kommt sie und kuschelt mit mir.
Hat deine Assistenzhündin einen besten nicht-menschlichen Freund oder Freundin? Wie sieht ein Treffen zwischen ihnen aus?Peach trifft sich mindestens einmal die Woche mit anderen Hunden und kann sich auch regelmäßig ausgiebig austoben. Es ist als wenn richtige Rabauken aufeinandertreffen würden und alle Menschen aus dem Weg müssen. Sie rennen dann wie verrückt hin und her. Leider hat sie momentan noch keinen nicht-menschlichen „best friend“. Vielleicht ergibt sich dies aber noch und Peach kann dann jeden Tag mit einem Hund oder einer Hündin spielen. Die Spielaufforderungen an unsere beiden Katzen kommen leider noch nicht so gut an. Irgendwie verstehen diese die Hundesprache nicht richtig und verziehen sich auf ihren Kratzbaum wo Peach nicht hinkommt.
Deine Assistenzhündin kann dich fast überallhin begleiten (Gesetz vom 22. Juli 2008 welches die ZUGÄNGLICHKEIT DER ÖFFENTLICHEN RÄUME FÜR PERSONEN MIT EINER BEHINDERUNG IN BEGLEITUNG EINES ASSISTENZHUNDES reglementiert)1. Hast du schon negative Erfahrungen gemacht? Welche?Leider ja. In einem Laden in unserer Gegend. Ich konnte zwar weiter einkaufen, aber die Verantwortliche reagierte ziemlich ablehnend und nicht wertschätzend. Sie drehte mir einfach den Rücken zu und ging schnaufend weg obschon ich ihr erklärt habe, dass Peach ein Assistenzhund ist. Ausserdem hatte Peach natürlich ihr „offizielles (blau, gelbes)“ Geschirr an, welches nur Assistenzhunden zusteht. Das hat dann wahrscheinlich mit der „unsichtbaren“ Behinderung zu tun. Bei einem Menschen im Rollstuhl hätte sie wahrscheinlich nicht so ablehnend reagiert.
Wie reagieren die Menschen in der Öffentlichkeit auf deinen Assistenzhund?Die meisten Menschen schauen schon kurz hin, besonders im Supermarkt, da ja dort im Prinzip keine Hunde erlaubt sind. Einige zeigen sich interessiert und wollen ihn (zu) schnell anfassen. Mittlerweile fällt es mir aber einfacher in der Öffentlichkeit mit Peach unterwegs zu sein und die Blicke muss ich eben akzeptieren. Diese sind ja bestimmt nicht schlecht gemeint. Ich gehe aber davon aus, dass viele Menschen sich fragen was denn wohl mein „Problem“ ist!?
Was wünschst du dir für deine Zukunft?Ich wünsche mir mit Peach alleine auf einer Insel zu wohnen.
Im Ernst?Nein, war nur ein Witz. Ich hoffe wieder mehr Normalität zurückzubekommen und mich freier bewegen zu können. Zum Beispiel gehe ich jetzt regelmässig mit Peach alleine in den Wald spazieren. Vorher hätte ich mich das nicht getraut. Auch wünsche ich mir selbständiger zu werden und vielleicht irgendwann alleine zu wohnen. Es wäre auch schön wenn ich mich irgendwann trauen würde alleine mit dem Auto irgendwohin zu fahren oder den öffentlichen Transport zu benutzen. Natürlich wünsche ich mir auch einen Teilzeitjob zu machen oder für den Anfang mindestens ein Schnupperpraktikum, wo Peach ebenfalls willkommen ist oder eine Arbeit, die ich von zuhause aus erledigen kann und wo ich mich nicht immer wegen meiner Beeinträchtigung rechtfertigen muss. Viele Versuche in diese Richtung sind bisher leider fehlgeschlagen.
Was möchtest du den Leserinnen und Lesern als Abschluss mit auf den Weg geben?Jeder Mensch hat ein Recht auf ein möglichst selbstbestimmtes Leben, egal ob er geistig, körperlich oder psychisch beeinträchtigt ist. Und wenn ein Assistenzhund auf diesem Weg eine Unterstützung sein kann, dann wünsche ich vielen Menschen eine solche Hilfe. Ich bin der ASA asbl und all ihren Unterstützerinnen und Unterstützern sehr dankbar, dass sie mir ermöglicht haben, Peach in mein Leben zu lassen. Ich merke jetzt schon nach so kurzer Zeit, dass mein Selbstvertrauen gewachsen ist.